Das Ziel dieser Arbeit ist es, festzustellen ob die Tier - Romane Richard Adams' gravierende Unterschiede zu älteren Tiergeschichten aufweisen und ob diese Unterschiede die Bezeichnung ,,Tiergeschichten ganz neuer Art'' rechtfertigen. Dies will ich exemplarisch an dem Roman Watership Down [1] zeigen.
Zum Vergleich habe ich Beatrix Potters Peter Rabbit [8] und Black Beauty [10] von Anna Sewell herangezogen. Außerdem habe ich als weitere Basis Shardik [2] und The Plague Dogs [3] von Richard Adams sowie A. A. Milnes The House at Pooh Corner [7] gelesen.
An Sekundärliteratur habe ich Mere Creatures [6] von Elliott B. Gose, Watership Down: Tale and Myth [9] von Francesco Collado Rodriguez und The Shaman as a Hero and Spiritual Leader: Richard Adams' Mythmaking in Watership Down and Shardik [5] von Edgar L. Chapman herangezogen.
Zwei weitere Aufsätze habe ich zwar in der MLA gefunden, leider jedoch per Fernleihe nicht bekommen können, da sie in deutschen Bibliotheken bis Mai 1995 nicht nachgewiesen waren:
Gillian Adams. Watership Down as a double journey in Proceedings of the thirteenth annual conference of the children's literature association (1986), Susan R. Gannon, Ruth Anne Thompson, 1988.
Dieter Petzold. Fantasy out of Myth and Fable: Animal Stories in Rudyard Kipling and Richard Adams in Children's Literature Association Quarterly Spring 1987.
Außerdem bin ich zuletzt noch auf einen Artikel von Kathleen Anderson zum Thema Shaping Self through Spontaneous Oral Narration in Richard Adams' `Watership Down' gestoßen [4]1.
Ich wollte diese Arbeit ursprünglich auf Englisch schreiben. Das dabei entstandene Format für Verweise habe ich beibehalten: (pXXXx) klein ,,x'' steht für top, middle, bottom. Da Seitenzahlen von der verwendeten Ausgabe abhängig sind, habe ich in der Regel auch das Kapitel angegeben.
Was zeichnet herkömmliche Tiergeschichten aus? Ich greife hier folgende Aspekte zur Untersuchung heraus: Denken, Sprechen, Handeln, Wertvorstellungen, Moral und Erziehung.
Ich habe beide Aspekte unter einer Überschrift zusammengefasst, da Denken und Sprechen beim Menschen - und der Mensch ist ja das Vorbild der sprechenden Protagonisten dieser Geschichten - eng miteinander verwoben sind. Die wichtigste Gemeinsamkeit der Geschichten ist, daß in ihnen vorausgesetzt wird, daß Tiere, in Pooh Corner auch Stofftiere, denken2 und miteinander reden können.
Elliott Gose definiert Fantasy folgendermaßen: ,,... a narrative that is based on the contradiction or calling in question of a natural law.'' (p3m). Daß Tiere sprechen oder Sprache verstehen können, widerspricht menschlichen Alltagserfahrungen. Da in allen hier untersuchten Tiergeschichten einige Tiere mit Sprache umgehen können, handelt es sich im Sinne dieser Definition um Fantasy-Geschichten.
Anders als bei C.S. Lewis' Narnia-Geschichten, gibt es bei Adams und Sewell keine Rahmenhandlung, die die sprechenden Tiere einführt 3 - vielmehr sprechen die Tiere einfach und die Autoren geben weiter keine Erklärung dafür4.
In Watership Down werden die sprachlich-kognitiven Fähigkeiten der Kaninchen bereits im ersten Kapitel deutlich - schon auf der zweiten Seite findet eine Unterhaltung zwischen Kaninchen statt. Im folgenden werde ich diverse ,,Gespräche'' zwischen Kaninchen zitieren, daher verzichte ich hier auf ein Zitat.
Black Beauty ist fast vollständig eine fiktionale Autobiographie eines Pferdes, daher weitgehend in der ersten Person geschrieben5. Ich zitiere hier den Anfang des ersten Kapitels: ,,The first place that I can well remember was a large pleasant meadow ...'' [10] (Ch1, p11). Dies Pferd versteht die menschliche Sprache: ,,When I was four years old, Sqire Gordon came to to look at me. He [... ] said: `When he has been well broken in, he will do very well.''' (Ch3, p16).
Auch in Plague Dogs sprechen die Hunde bereits im ersten Kapitel miteinander, später sprechen sie mit dem Fuchs, der aus der Sicht der Hunde - und damit übertragen auf den Leser - einen schwer verständlichen Dialekt spricht. Die Menschen verstehen die Sprache der Hunde nicht, ebenso wie die Hunde die Menschen nicht verstehen.
In Watership Down verstehen die Kaninchen die Menschen nicht; Hazel berichtet z.B. am Ende von Kapitel 49: ,,`A man brought me in a hrududu6,' said Hazel, `nearly all the way.''' (p466b), sagt jedoch überhaupt nichts über die Gespräche zwischen dem Doktor und dem Mädchen, weil er nichts verstanden hat. Andererseits spricht in einer Vision in Kapitel 26 (p234-235) ein Mann zu Fiver, und das Kaninchen versteht ihn. Hieraus können wir jedoch nicht den Schluß ziehen, daß Adams' Kaninchen menschliche Sprache verstünden, da Visionen und Träume Ausnahmesituationen sind. Zur Relevanz von Fivers Visionen komme ich im Abschnitt 3.4.3 auf Seite pageref.
Eine Besonderheit gibt es im Rahmen der untersuchten Tiergeschichten: In Pooh Corner verstehen die Tiere (sogar Stofftiere wie Pooh, Kanga, Roo, Eeyore und Piglet) Christopher Robin nicht nur, sondern sprechen sogar auf verständliche Weise zu ihm.
In Beatrix Potters The Tale of Peter Rabbit ebenso wie in Tom Kitten tragen die Tiere Kleidung und sind in jeder Hinsicht stark vermenschlicht dargestellt, praktisch Menschen(-kinder) in Tiergestalt. Man könnte sich Peter auch als kleinen Jungen vorstellen, der trotz Mutters Ermahnung in Nachbars Garten Kirschen stiehlt, dabei erwischt wird, etc. In The Story of a Fierce Bad Rabbit dagegen fehlt die Kleidung und das vermenschlicht-häusliche Umfeld. In Milnes Pooh Corner gibt es diverse Tiere; die Stofftiere tragen manchmal Kleidung7, die anderen, das Kaninchen und die Eule nicht, wobei die Eule allerdings ein sehr menschlich eingerichtetes Baumhaus bewohnt. Einige der Tiere beherrschen auch leidlich die Schrift. Bei Watership Down gibt es nur einen Hinweis auf den Gebrauch schriftähnlicher Zeichen durch ein Kaninchen mit Namen Laburnum. In die Wand eines Kaninchenbaus in Cowslips Siedlung sind Muster aus Steinen in regelmäßigen Abständen eingelassen (Ch 13, p88). Ein Mosaik hätte Hazel wahrscheinlich als Bild erkennen können. Seine Verwirrung und die Regelmäßigkeit der ,,shapes'' deuten darauf hin, daß es sich um eine Art Schriftzeichen handelt.
In vielen Tiergeschichten nutzen die Tiere Werkzeuge, Geräte und Gebäude auf menschliche Weise, weit über die physischen und kognitiven Möglichkeiten ihrer realen Vorbilder hinaus.
In Peter Rabbit und in Tom Kitten benutzen die Kaninchen Werkzeuge oder Gerätschaften wie z.B. Nadel und Faden, Töpfe und Herde8. Auch in Pooh Corner gebrauchen die Tiere Werkzeuge auf menschliche Weise. In Black Beauty dagegen fehlt der Gebrauch von Werkzeug durch die Pferde völlig.
Bei Peter Rabbit wird eine erzieherische Absicht deutlich: Die Ermahnung der Kaninchenmutter, nicht Mr. McGregors Garten zu betreten, ist eine Ermahnung an den kindlichen Leser, sich nicht zu weit in verbotenes Gebiet zu wagen und sich an die Weisungen der Eltern zu halten. Beatrix Potter bringt daher auch die entsprechenden Wertungen - ,,good little bunnies'' vs. ,,very naughty'' ein. Peter, der sofort das Verbot mißachtet, gerät in ärgste Schwierigkeiten9. Außerdem muß Peter am Schluß10 Kamillentee trinken anstatt, wie die braven Kaninchen, ein richtiges Abendessen aus Milch und Brombeeren zu genießen.
Obwohl äußerlich weniger anthropomorph gestaltet, zeigt The Story of a Fierce Bad Rabbit das gleiche Muster: Das wilde, böse Kaninchen wird dem netten, sanften Kaninchen gegenübergestellt. Dann erfolgt eine Grenzüberschreitung - hier der Raub der Karotte und das Verletzen des beraubten Kaninchens - und die Strafe folgt auf dem Fuße, wieder durch Einwirkung eines Menschen. So wie Peter ohne Jacke und Schuhe wiederkommt, rennt hier ein seines Schwanzes und seiner Schnurrhaare beraubtes Kaninchen von dannen. Auffällig ist in beiden Fällen der unrealistisch glimpfliche Ausgang der Abenteuer. Die Lektion ist klar: Der Böse wird bestraft, der Gute bleibt unbehelligt oder wird belohnt. So einfach sind die Verhältnisse in Adams' Romanen nicht, worauf ich in Abschnitt 4 auf Seite pageref eingehen werde.
Was zeichnet Richard Adams' Romane gegenüber älteren Tiergeschichten aus? Oder: Worin unterscheiden sich Richard Adams Geschichten von den anderen?
Die Handlung Watership Downs basiert auf einer Reise11. Der Roman lebt aus den einzelnen Episoden, denen durch die weitgehend linear verlaufende, recht einfache Handlung eine besondere Bedeutung zukommt. Obwohl an einigen Stellen zwischen mehreren Schauplätzen hin- und hergeblendet wird, bleibt die Handlung überschaubar. Die Geschichten aus der Mythologie der Kaninchen (siehe Abschnitt 3.4 auf Seite pageref) sind, bis auf die Geschichte von der Erschaffung der Welt, weder räumlich noch zeitlich festgelegt, sondern stehen außerhalb der Handlung und antizipieren einen oder mehrere Aspekte der nächsten Episoden.
Bei einer Handlung, die auf einer Reise basiert12, gibt es in der Regel Charaktere, die eher Helfer sind und andere Charaktere, die harte Gegner sind. Die Helfer manifestieren sich in Watership Down auf völlig unterschiedliche Weise: Einige sind keine Kaninchen, sondern gehören anderen Tierarten an, nämlich die Maus und die Möve. Die Tochter des Bauern, die ,,dea ex machina'', gehört ebenfalls zu den Helfern. Andere Helfer dagegen sind nicht von dieser Welt, auch nicht direkt aus dem Text zu erschließen, sondern transzendente Wesenheiten, die nur in Fivers Visionen auftauchen. Die Gegner sind nicht minder mannigfach, schon das von Adams einführte Lapine-Wort: ,,U-hrair''13 deutet es an. Da wären natürlich zuerst die Menschen zu nennen, aber auch tierische Räuber - als voll ausgebildete Charaktere treten jedoch hauptsächlich andere Kaninchen in die Rolle der Hinderer und Gegner. Zum einen sind es die eigenen Genossen, die zu meutern beginnen14, zum anderen ist es Cowslip15, der die Wanderer einlädt, an seinem dekandenten Leben und den lauernden Schlingen teilzuhaben. Es besteht kein Zweifel darüber, daß Cowslip von den Schlingen weiß. Im zweiten Teil des Buches kommt General Woundwort16 mit seiner militaristisch durchorganisierten Kaninchensiedlung als ein mächtiger Gegner ins Spiel, den Hazels Kaninchen nur durch die Freisetzung eines noch gefährlicheren Feindes, des Hofhundes von Nuthanger Farm überwinden können.
Jedem Kapitel in Watership Down stellt Adams ein Zitat 17 voran, das sozusagen das Motto des Kapitels darstellt und das Geschehen im Kapitel teilweise antizipiert und motiviert18 [6]. Hier ein Beispiel19: Im zweiten Teil des Buches zu Beginn des achtzehnten Kapitels 'Watership Down' (p129) erscheint z.B. folgendes Zitat: ,,What is now proved was once only imagin'd. William Blake The Marriage of Heaven and Hell '' [1]. In diesem Kapitel findet die Kaninchenbande um Hazel ihre neue Heimat: Watership Down; Fiver, der Seher der Bande hat dies vorausgeahnt und sie dorthin geführt: ,,He (Frith) may have made it , but Fiver thought of it for us.'' [1]. Nochmals verweise ich auf meine weiter unten folgenden Bemerkungen zu Fivers Visionen in Abschnitt 3.4.3 auf Seite pageref.
Im Epigraph zu Kapitel 26 (p233) zitiert Adams aus Joseph Campbells Buch The Hero with a Thousand Faces und weist auf diese Weise auf seine Kenntnis des Campbellschen Abenteuermodells hin (hier: descent into the underworld as a crossing of the ,,treshold of adventure''). In dem Kapitel erfährt Fiver in einer recht brutal anmutenden Vision, daß Hazel sich lebendig in einem Tonrohr befindet. Somit wird auch hier das Geschehen im Kapitel durch den Epigraph angedeutet. Weitere Epigraphen habe ich im Abschnitt 3.2.5 auf Seite pageref angesprochen.
Adams bedient sich in Watership Down bewährter literarischer Techniken: Ausgedehnte Vergleiche20 weisen weit über die ,,Kaninchenwelt'' hinaus, bis ins Mittelalter und die Antike. Er bemüht in Kapitel 22 die dem Verlust seiner gesamten Mannschaft folgende Ruhe des Odysseus' bei Calypso und seine Konzentration auf sein Ziel, die Rückkehr zu seiner Ehefrau, als Vehikel im impliziten Vergleich mit dem zuvor ausführlich geschilderten ,,intuitive feeling that Life is Now'' der Kaninchen. Sie können, ja müssen, wollen sie überleben, sehr bald nach dem Schmerz wieder mit ihrem ganzen Wesen in den Alltag zurückkehren: ,,Would that the dead were not dead! But there is grass that must be eaten, pellets that must be chewed, hraka that must be passed, [...]. Odysseus brings not one man to shore with him. Yet he sleeps sound beside Calypso and when he wakes he thinks only of Penelope.'' (p170t).
In Kapitel 23 vergleicht Adams die Mächtigkeit des Sonnenaufgangs über Watership Down mit der Leichtigkeit und Ruhe mit der ein Bulle die Hand eines Menschen abschüttelt: ,,As a bull, with a slight but irresistible movement, tosses his head from the grasp of a man who is leaning over the stall and idly holding its horn, so the sun entered the world in smooth, gigantic power.'' (p187t).
Adams beschreibt in Kapitel 33 die Gefühle der Unsicherheit, die Vorahnungen die Zweifel der Kaninchen in dem Moment, in dem Hazel mit seiner kleinen Truppe auf den Fluß stößt, mit einer Folge rhetorischer Fragen über fiktionale Gefühle Marco Polos, die er als Vehikel in dem Vergleich nutzt: ,,When Marco Polo came at last to Cathay, seven hundred years ago, did he not feel - and did his heart not falter as he realized - that this great and splendid capital of an empire had had its being all the years of his life and far longer, and that he had been ignorant of it? That it was in need of nothing from him, from Venice, from Europe? That it was full of wonders beyond his understanding? That his arrival was a matter of no importance whatever? We know that he felt these things, and ...'' (p299t).
In Shardik tauchen ebenfalls erweitere Similes auf, z.B. vergleicht Adams in Kapitel 31 die Gewalt des ausgebrochenen Bären mit der Gewalt des Wassers eines brechenden Dammes (p262m).
Zum Verständnis dieser Vergleiche sind zum Teil sowohl rudimentäre Kenntnisse der griechischen Mythologie und der Weltgeschichte als auch ein breit angelegter Wortschatz21 erforderlich. Hierin unterscheidet sich Watership Down ganz klar von den anderen Tiergeschichten, die ich zum Vergleich herangezogen habe: Adams stellt höhere Ansprüche an den Leser.
In Watership Down finden sich immer wieder das Wesen und die Sprache (dazu weiter unten mehr) der Kaninchen erklärende Fußnoten (z.B. S. 16-17)22, die ich in den anderen Werken nicht gefunden habe. Sie geben dem Roman den Anschein eines durch naturkundliche Erkenntnisse abgesicherten Werkes, und verleihen dem Geschehen im Roman mehr Glaubwürdigkeit, obwohl diese ,,Fakten'' natürlich alle Teil der Fiktion sind und lediglich an Erkenntnisse der Biologie und Verhaltensforschung23 angelehnt sind. Oft sind solche Anmerkungen aber auch mitten im Text versteckt, worauf ich in Abschnitt 3.2.5 auf Seite pageref eingehe.
Adams bedeutet die Einbeziehung seines Publikums sehr viel, denn er spricht seine Leser zuweilen mitten im Text direkt an24, z.B. in Kapitel 18: ,,The rabbits' anxieties and strain in climbing the down were different, therefore, from those which you, reader, will experience if you go there.'' (p133m, meine Hervorhebung). Dies ist liegt daran, daß Watership Down als ,,oral narrative'' entstand, es war eine - sicher noch viel weniger ausgefeilte und detaillierte - Geschichte, die Adams seinen kleinen Töchtern während einiger langer Autofahrten erzählte. Kathleen Anderson schreibt dazu: ,,the story originated as a spontaneous act of invention.'' [4] (p.25). Die Stimme des Erzählers der mündlich erzählten Geschichte sei in der schriftlichen Version erhalten geblieben, woraus sie ihre ,,narrative Kraft'' beziehe.
Kathleen Anderson geht noch weiter und zeigt, daß Adams in dem Roman die orale Tradition als einen Träger der Wahrheit und eine Quelle der Einigung anwendet. Das Erzählen der Geschichten (Mythen) dient der Erziehung und der Festigung der Identität der Kaninchen (Anderson: ,,it helps wild rabbits remember that they're wild rabbits'').
Adams unterbricht den Erzählstrom öfter, um Erklärungen für den Leser einzufügen: ,,A man walks upright. For him it is strenuous to climb a steep hill, because he has to keep pushing his own vertical mass upwards and cannot gain any momentum. The rabbit is better off. His forelegs support his hoizontal body and the great back legs do the work. They are more than equal to thrusting uphill the light mass in front of them. Rabbits can go fast uphill. ...'' (p133m).
Diese scheinbar wissenschaftlichen Erläuterungen des Lebens und der Eigenschaften der Kaninchen entstehen ganz natürlich in einer (oralen) Erzählung eines Mannes, der entsprechende Bücher25 gelesen hat und sonst die Natur kennt und liebt, denn er möchte selbstverständlich seine Kenntnisse dem Hörer vermitteln. Im später entstandenen Roman sind diese Hinweise wohldosiert an den entsprechenden Stellen eingeflochten, sie verleihen dem fiktionalen Geschehen Dichte und scheinbare Realitätsnähe.
Es wird oft auf die Erkenntnisse des Naturkundlers Ronald M. Lockley verwiesen und manchmal zitiert Adams aus dessen 1965 erschienenem Werk ,,The Private Life of the Rabbit'', so z.B. in dem Epigraph zu Kapitel 5 ,,These young rabbits ... must move out if they are to survive.[... ] wandering until they find a suitable environment.'' (p33m) und Kapitel 12 ,,Nevertheless, even in a crowded warren, visitors in the form of young rabbits seeking desirable dry quarters may be tolerated ...'' (p68b). In Kapitel 5 befinden sich die Kaninchen auf einer entsprechenden Wanderung und in Kapitel 12 treffen sie auf eine andere Kaninchensiedlung, der sie sich dann nähern. So wird durch diese Epigraphen die Handlung des Kapitels antizipiert und das erfundene Geschehen motiviert.
Wenn Tiere in einer Geschichte sprechen können, steht dies im Widerspruch zum Realitätsempfinden des Lesers. Daß ich z.B. Watership Down dennoch lesen konnte, ohne ständig zu denken, daß die Ereignisse des Romans so nicht möglich sein können26, ist ein Verdienst des Autors.
In Watership Down beschreibt Adams sehr sorgfältig die mitteleuropäische (britische) Landschaft27 und schafft es auf diese Weise, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Diese Beschreibungen sind aus der Perspektive der Kaninchen geschrieben28. In Watership Down dagegen bedient sich Adams des ,,free indirect style'' indem er die Sorgen und Zweifel der Charaktere durch das Buch hindurch verstreut (vgl. [9]) und den Leser daran teilhaben lässt. Ein Beispiel dafür gibt es in Kapitel 5 bei der Durchquerung des Waldes, wo sich Hazel durch die Stimme des Erzählers fragt: ,,What was in the bracken? What lay round the further bend? And what would happen to a rabbit who left the shelter of the holly tree and ran down the path?'' (p35m). Auf diese Weise zieht Adams den Leser auf die Augenhöhe eines Kaninchens, für das schon eine mit Farn bewachsene Waldlichtung ein geheimnisvoll-bedrohliches Dickicht ist.
Das Verhalten der Kaninchen wird sehr realistisch beschrieben. Der Leser nimmt am Leben der Tiere teil, als wäre er ein ,,Mit-Tier'', er versteht ihre Sprache und nimmt Einblick in ihre Gefühle. Sowohl Adams als auch Sewell begrenzen die Taten der Tier-Helden auf den durch die physischen Fähigkeiten ihrer realen Vorbilder gesteckten Rahmen. Kein Kaninchen in Richard Adams' Roman vollbringt Taten, die einem echten Kaninchen unmöglich wären, so ungewöhnlich sie erscheinen mögen. Und dennoch reichen die Fähigkeiten Hazels und seiner Genossen im kognitiv-geistigen Bereich weit über das hinaus, was normale Kaninchen tun könnten.
Die scheinbare Realitätsnähe darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Kaninchen in Watership Down sehr vermenschlicht dargestellt sind. Nur liegt diese Vermenschlichung weitgehend im nichtmateriellen Bereich der Kultur, in Sprache, Gesellschaft und Religion - die Kaninchen sind nicht kuschelig und menschlich gekleidet dargestellt, sondern bleiben nach außen hin Tiere.
Die häufige Thematisierung des Todes - der ja gerade bei einer Tiergattung, die Verluste durch schnelle Vermehrung ausgleicht, zu einer besonders drängenden Frage wird - läßt schon ahnen, daß Adams keine Kuscheltiere portraitieren will. Die Härte der Darstellung wird von The Plague Dogs und Shardik jedoch weit übertroffen.
Die Tiere gebrauchen von Menschen gemachte Gegenstände gemäß den tatsächlichen physischen Möglichkeiten der jeweiligen Tierart. Die schwächsten Kaninchen überqueren in Kapitel 8 einen Bach mit Hilfe eines Brettes ,,`They're sitting on the wood and the wood floats, can't you see?' said Blackberry.'' (p48b), während die anderen schwimmen29.
Später in Kapitel 38 gebrauchen die Kaninchen sogar ein Boot auf der Flucht vor den Verfolgern aus Efrafa und Hazel durchnagt mit seinen Zähnen das Seil, um das Boot abtreiben zu lassen: ,,`You will have to wait on the boat, Hazel. We can't risk your being left to be picked up by the Efrafans. Besides, it's very important that the rope should be half-gnawed - that's a job for someone sensible. It mustn't break too soon or we're all finished.''' (p355m). Hier zeigt sich, daß Fiver und Dandelion sehr genau planen und Risiken abwägen und als Ergebnis dieser Erwägungen den lahmenden Hazel zum Durchnagen des Seiles auf dem Boot zurücklassen.
Adams führt in Watership Down nach und nach Wörter einer fiktiven Kaninchensprache ein. Wenn ein neues Wort auftaucht wird es im Text oder in einer Fußnote erläutert oder es ergibt sich zwingend aus dem Kontext. Damit erlegt Adams dem Leser im Vergleich mit der übrigen hier in Betracht gezogenen Tiergeschichten eine gewisse Mühe auf. Er muß sich nämlich, hat er nicht das Glossar der gebundenen Ausgabe, diese durchaus fremdartigen Wörter vorübergehend aneignen. Zumeist sind es vielsilbige oder zusammengesetzte Substantive die menschlicher Sprache ähneln und mal ans Arabische, mal ans Französiche oder Spanische erinnern. Ich erläutere nur einige meines Erachtens interessante Wörter ohne Anspruch auf Vollständigkeit, insbesondere fehlen hier einige Figuren aus der Mythologie der Kaninchen, auf die ich in Abschnitt 3.4 auf Seite pageref eingehe:
Adams wählt Kaninchengesellschaften als Metaphern für die menschlichen Probleme des Überlebens. Jedoch ist eine Spur von Satire dabei, wie Edgar L. Chapman in [5] bemerkt:
,,Nothing seems so poignantly satirical as a rabbit society devoted to secrecy and militarism, since rabbits are hardly, despite their courage, well equipped for aggression. ''Auf die entsprechende Kaninchengesellschaft werde ich in Abschnitt 3.3.3 auf Seite pageref noch eingehen.
Es stellt sich heraus, daß jede der Kaninchengesellschaften typische Merkmale menschlicher Gesellschaften aufweist, die ich im folgenden einzeln vorstellen und kommentieren werde. Diese sehr deutliche Abbildung verschiedener menschlicher Gesellschafts- und Staatsysteme auf die fiktionalen Tiergesellschaften gibt es in den anderen Tiergeschichten nicht.
Jeder Führer muß unter bestimmten Umständen um seine Vorherrschaft fürchten. Dies scheint sowohl unter Menschen als auch unter Tieren eine Gesetzmäßigkeit zu sein, ich denke dabei an Wolfsrudel etc. Adams greift dies Motiv auf und hebt es auf eine vermenschlichte Ebene, indem er in Kapitel 44 General Woundworts Wunsch, die Watership Down Siedlung schnell anzugreifen folgendermaßen kommentiert: ,,like most war-lords he was not very confident about what was going on behind his back'' (p428m).
Die Kaninchensiedlung Efrafa ist nach dem Modell eines totalitären Polizeistaates unter der Führung eines Diktators angelegt. Ein sehr starkes und gewalttätiges Kaninchen, General Woundwort, beherrscht eine Kaninchensiedlung mit dem Ziel, sie verborgen zu halten und zu vergrößern, um damit seine Macht zu vergrößern. Er unterhält eine Militärpolizeitruppe, die Streifzüge in die nähere und weitere Umgebung unternimmt. Woundwort baut Verwaltungsstrukturen auf, er steht einem ,,council'' vor und unterteilt die Kaninchen in Gruppen, die durch tiefe Bisse in bestimmte Körperteile lebenslänglich markiert werden. Kathleen Anderson schreibt in [4] dazu: ,,The marks are compulsory, painful, and lacking both semantic and aesthetic significance - they merely represent visual categories for the convenience of the rabbit leaders controlling the warren.''. Die Markierung geschieht nur zu Kontrollzwecken, die Kaninchen sind austauschbare Objekte, sogar die Führer (vgl. Captain Bugloss' Degradierung wegen der Flucht der Delegation von Watership Down, Ch34, p314m).
Adams' Bewertung von General Woundworts Herrschaftsmodell wird besonders deutlich in einem Kommentar, den er in Kapitel 43 nach dem diplomatischen Einsatz Hazels für seine Siedlung einschiebt: ,,... there was offered to General Woundwort the opportunity to show wether he was really the leader of vision and genius which he believed himself to be, or wether he was no more than a tyrant with the courage and cunning of a pirate.'' (p425m). Woundwort lehnt Hazels vernünftigen Vorschlag zum Frieden ab und wählt Gewalt und Blutvergießen, womit er sich als wahrer Tyrann erweist.
Das Herrschaftsmodell des Protagonisten unterscheidet sich deutlich von dem der drei anderen Kaninchensiedlungen. The Threarah ist ein gutmütiger, etwas starrköpfiger Herrscher, Cowslip ist kein Führer im eigentlichen Sinne sondern eher ein Sprecher, Woundwort ist ein gewalttätiger Despot - Hazel dagegen ist von Anfang an kooperativ und vermeidet Gewalt. Zeitweise scheint es gar, daß er von seiner Führerrolle eher überrascht ist: ,, ... he realized that Blackberry wanted him to show authority.'' (Ch8, p49t).
In Kapitel 19 empfiehlt Blackberry, auf Watership Down Löcher zu graben, obwohl die Überzeugung der anderen Kaninchen war, daß Böcke normalerweise das Graben den Weibchen überlassen (p140t). Fiver bestätigt dem zögernden Hazel, daß Blackberry Recht hat und Hazel nimmt den Rat seines Bruders an. Hier zeigt sich, daß Hazel sich argumentativ überzeugen läßt und keineswegs starrsinnig auf einer vorgefaßten Meinung beharrt, ja er weicht in diesem Fall sogar von einer Tradition ab.
In Kapitel 40 kommentiert der Erzähler: ,,Hazel, who was ready to accept advice from anybody when he thought it was good, listened ...'' (p389b) und deutet so die für Ratschläge offene Haltung Hazels an. Hazel ist auf Fivers Schreckensvision hin von Sandleford ausgezogen und lernt während der langen Reise, sich immer mehr auf seinen Propheten Fiver zu verlassen. Er entwickelt sich während der Reise somit von einem unerfahrenen ,,rank and file''-Kaninchen zu einem kompetenten Führer, der seine Helfer und Berater zu schätzen weiß.
Die Gruppe der Kaninchen um Hazel, die sich bei der Flucht aus Sandleford bildet, ist vergleichsweise homogen, alle entstammen dieser einen Siedlung und alle sind freiwillig mit auf die Flucht gegangen. Hazel zwingt kein Kaninchen, bei der Gruppe zu bleiben.
Während Hazels Kaninchen am Ende von Kapitel 17 Cowslips Siedlung verlassen bittet Strawberry darum, mitgenommen zu werden. Während Silver ihn schroff abweist hat Hazel, Mitleid mit ihm: ,,`You can come with us,' he said. `Don't say any more. Poor fellow.''' (p128m). Später kommen Hazels Siedlung die Erfahrungen Strawberrys beim Bau der großen Höhle zugute: ,,Hazel contented himself with organizing the diggers and left it to Strawberry to say what was actually to be done.'' (p152t)33. Nachdem Hazels Kaninchen in Kapitel 20 erste Löcher auf Watership Down gegraben haben, kommen die beiden überlebenden Kaninchen von Sandleford zu ihnen und werden wie selbstverständlich aufgenommen, obwohl sie zuvor ihre Flucht behindern wollten. Danach rettet Hazel eine Maus vor einem Falken, wofür Bigwig wenig Verständnis hat: ,,`I know your're not stupid, but what did we get out of that? Are you going in for protecting every mole and shrew that can't get underground?''' (p154t). Die Maus wird Hazel in Kapitel 42 vor der sich anschleichenden Truppe aus Efrafa warnen (p411). Dann entdeckt Bigwig in Kapitel 23 eine Möve, Kehaar, der die Kaninchen Schutz und Hilfe bieten. Kehaar leistet ihnen später sehr gute Dienste bei der Aufklärung aus der Luft und bei der Flucht aus Efrafa. Außerdem befreit Hazel die Kaninchen von Nuthanger Farm und Efrafa und integriert sie in seine Siedlung, später nimmt er dann die überlebenden Belagerer auf: ,,The Efrafan survivers had been allowed to join the warren and, [...], were settling down pretty well, largely because Hazel was determined that they should.'' (p469t). Obwohl ihnen berechtigterweise mit Mißtrauen begegenet wurde, gibt Hazel ihnen die Möglichkeit zur Eingliederung. Hazels Gruppe ist offen für alle, die nicht mit böser Absicht kommen, in besonderen Fällen sogar, wenn sie gar keine Kaninchen sind. Adams Integration ,,Fremder'' in die Kaninchengruppe Hazels macht viele der geschilderten Abenteuer erst möglich. Die meisten ,,Fremden'' bringen der Kaninchengesellschaft einen Nutzen, auch wenn dieser nicht, wie bei Keehar, schon zuvor sichtbar ist.
Das Motiv der ,,Fremden'', die in eine homogene Gruppe von Tieren eingeliedert werden, taucht in den anderen Tiergeschichten nicht auf, vielleicht, weil in ihnen keine solchen Gruppen von Tieren auftreten, vielleicht aber auch, weil dieser ,,Lehrstoff'' zur Zeit ihrer Entstehung keine Rolle spielte.
Ein weiterer Aspekt, in dem Watership Down sich ganz massiv von den zum Vergleich herangezogenen Tiergeschichten unterscheidet, ist das mythologisch-religiöse System der Kaninchen. In Abschnitt 3.3.1 auf Seite pageref in meinen Hinweisen zur Sprache der Kaninchen habe ich darauf Bezug genommen. Der Leser lernt nicht nur die Akteure der Geschichte in der ,,Jetztzeit'' kennen, sondern erfährt viel über ihre Wurzeln, Geschichte und sogar den Anfang der Welt.
Die Kaninchen in Watership Down haben eine überlieferte Kultur und zu dieser Kultur gehört eine Mythologie, d.h. aus der Sicht der Kaninchen, da sie ja daran glauben, eine Religion. Sie glauben an die Existenz eines Sonnengottes ,,Frith'' (s.u.), die Religion ist somit formal als monotheistisch einzuordnen. Nirgendwo in Watership Down wird versucht, die Mythen zu rechtfertigen oder sie plausibel zu machen. Sie werden als Aufzeichnung von Fakten über eine frühere oder andere Zeit und ohne Festlegung des Ortes präsentiert.
The Plague Dogs enthält ebenfalls Mythen, z.B. Rowfs Geschichte darüber, wie ,,the star dog'' die Tiere und Menschen erschaffen hat und wie es kam, daß alle Tiere Angst vor den Menschen haben etc. (p137b-141m).
In Black Beauty spielen Mythen kaum eine Rolle, um so mehr dagegen Moral und Religion. Das Buch beginnt mit dem ersten Ort, an den das Fohlen sich erinnern kann, und endet mit dem Ort, an dem das alte Pferd sein Gnadenbrot erhält. In den verschiedenen Episoden gibt es viele Verweise auf Religion, Moral, richtiges und falsches Verhalten, aber es geht meist um die Menschen und ihre Verantwortung und nicht um die Pferde34. Anna Sewell versucht, den Leser zu überzeugen, daß bestimmte, damals übliche Praktiken des Umgangs mit Pferden den Tieren unnötiges Leid zufügen. So stellt sie Charaktere, die den Tieren aus boshaftem Übermut, Unwissenheit oder Gewinnsucht Übles antun (z.B. Bill in Kapitel 13), guten Pferdehaltern gegenüber, die, obschon in schlechter Lage, dennoch ihre Pferde schonend behandeln (z.B. Jerry Barker in Kapitel 35).
Man man kann die in Watership Down vorkommenden Mythen nach den in ihnen dominierenden Themen klassifizieren. Dabei bin ich zu folgender Einteilung gekommen43:
Der zweite Teil, beginnend mit der Ermahnung El-ahrairahs durch Frith ordne ich als ,,myth of origin'' ein: Er erklärt die Herkunft der speziellen Eigenschaften El-ahrairahs und seiner Nachkommen, der starken Hinterbeine, des weißen Schwanzes und - sehr wichtig - der Eigenschaften, die ihn zum Trickster machen: Schläue, Listenreichtum, Verwegenheit, Geschicklichkeit, usw. Interessant hierbei sind für mich noch zwei Punkte: 1. Auch Frith hat seine Grenzen, er kann die Kinder El-ahrairahs nicht zählen44 und unterscheidet sich in diesem Punkt vom Gott der Juden, Christen und von Allah. 2. El-ahrairah verweigert Frith die gewöhnlich einem göttlichen Wesen gebührende Ehrerbietung indem er Frith bittet, seinen Hintern zu segnen anstatt zumindest das halbfertige Loch zu verlassen und wird nicht dafür bestraft - sieht man von Spekulationen über vielleicht ausgebliebene weitergehende Segnungen ab. Richard Adams beschreibt die Reaktion der Kaninchen darauf folgendermassen: ,,Each one of them saw himself as El-ahrairah, who could be impudent to Frith and get away with it.'' (p40t). Dies unterstreicht auch die Rolle El-ahrairahs als Leit- und Identifikationsfigur für die Kaninchen.
In Watership Down tauchen Kaninchen auf, die man mit den Begriffen Prophet, Sehers oder Schamane bezeichnen kann. Edgar L. Chapman [5] spricht vom Schamanen als Helden und spirituellem Führer.
The Threarah wird in Kapitel 22 im Bericht Hollys über die Zerstörung der Siedlung folgendermaßen zitiert: ,,`These rabbits' he said `who claim to have the second sight [... ] A weak rabbit who can't hope to get far by fighting sometimes tires to make himself important by other means and prophecy is a favourite. [... ] But then again you may get a rabbit who really has this odd power, for it does exist.''' (p158b-159t). Hier wird die Gabe ,,second sight'' oder schlicht ,,prophecy'' genannt. Beim Menschen würde man vielleicht von einer medialen Begabung sprechen. Es handelt sich auf jeden Fall um eine Fähigkeit45 mancher Kaninchen, auf verschiedene Weise in die Zukunft zu schauen oder Vorgänge, die an einem anderen Ort stattfinden, zu erkennen.
Diese Fähigkeit wird bei Fiver am prominentesten gezeigt, er hat Visionen und Vorahnungen die in die nahe Zukunft gerichtet sind, sowie Wahrnehmungen die sich auf einen anderen Ort in der Gegenwart beziehen. Seine dunkle Vorahnung der Zerstörung ,,The Field! It's covered with blood!'' (Ch1, p19m) verdichtet sich bis zum Entschluß, die Siedlung zu verlassen. Hazel spricht für ihn diesen Entschluß aus und lädt zum Mitkommen ein (p26mb) und zeigt so schon frühzeitig seine Entschlußkraft, die ihn zum Führer der wandernden Kaninchen macht. Er vertraut dabei auf die Wahrheit der Vorahnungen seines Bruders. Schon vor dem erfolglosen Gespräch mit dem ,,chief rabbit'' hat Fiver einen Traum (Ch2, p20b-21t), der viel stärker in die Zukunft weist und in dem er Dinge vorhersieht, die den Kaninchen erst viel später auf der Wanderung geschehen: Die beiden Flußüberquerungen und die Rettung Hazels aus dem Abflußrohr werden angedeutet. Das Wort ,,wire'' mag auf die Strangulierung Bigwigs in Cowslips' Siedlung hindeuten. Das Motiv der Mischung zeitlich naher und sehr ferner Ereignisse in einer einzigen prophetischen Schau - ohne Wissen des Propheten um die Nähe oder Ferne der einzelnen Ereignisse - mag aus der Bibel entnommen sein. Sowohl in der Bibel als auch in Watership Down erhält der Prophet Einblick in eine andere ,,Dimension'', eine Gleichzeitigkeit aller Dinge, die für den Menschen schlicht unvorstellbar ist. Der Artikel zu ,,Prophecy'' in Funk & Wagnalls Encyclopedia gibt zu bedenken, daß die Frage, ob Prophetie aus Kräften außerhalb oder innerhalb des Propheten stamme. Eine Tendenz sei es, Prophetie als ein im wesentlichen unterbewußtes Phänomen anzusehen, das auf Halluzination, Wunschdenken, Raten und manchmal Betrug beruhe. Eine andere Theorie binde Prophetie ebenfalls an das Unbewußte, und suche die Ursache letztendlich im Handeln Gottes.
Auch andere Kaninchen wie z.B. Hyzenthlay (Ch35, p333t) und Threar, ein Abkömmling Fivers (Ch50, p474m), haben Visionen. Hyzenthlay sieht mehrere zeitlich nicht direkt zusammenhängende Ereignisse zugleich in einer Vision. Tragend sind jedoch Fivers Visionen, weil Hazel sie, je weiter die Kaninchen ziehen, desto sorgfältiger bei allen Planungen berücksichtigt. Immer wieder findet sich Hazel darin bestärkt, daß Fiver die Wahrheit spricht.
Adams vergleicht in Watership Down vier Kulturen miteinander und zeigt, daß die Kultur, die von lebendigen, aktiv überlieferten Mythen inspiriert und von einem seinem Propheten vertrauenden Führer geleitet wird, sowohl einer dekadenten, dem Schicksal ergebenen, als auch einer auf Militarismus und Organisation vertrauenden Kultur überlegen ist (vgl. Chapman). Die vierte Kultur, der Ausgangspunkt, die Siedlung in Sandleford ist ebenfalls unterlegen, da ihr Führer zwar vernünftig ist, aber jedes Risiko scheut und dem Seher keinerlei Vertrauen schenkt, nicht nur, weil Fiver einen radikalen Schritt vorschlägt, sondern weil er einfach überheblich ist, sich in großer Sicherheit wähnt und seine Sicht der Dinge für letztgültig hält: ,,`A bad danger. Yes, I see. How very upsetting,' said the Chief Rabbit, looking anything but upset.''. Die Sprache des Chief Rabbit verbirgt seinen inneren Zustand, seine Verachtung des kleinen Fiver, mit großer Höflichkeit und Eloquenz geht er über die eindringlichen Warnungen hinweg, er bleibt an der Oberfläche, sowohl sprachlich als auch in seiner Sicht der Dinge (vgl. Anderson [4]).
Das Wesen Fivers ist es jedoch, jede Erscheinung, oft unbewußt, in ihrer Tiefe wahrzunehmen. So kann Fiver auch Hollys übernatürliches Erklärungsmuster ,,to be saved by Lord Frith in his power'' (p249mb) für den Zug zurückweisen und eine natürliche Erklärung postulieren: ,,When he had spoken of his deliverance by the great apparition in the night, Fiver had listened attentively and asked one question, `Did it make a noise?' Later, when Holly had gone back, he told Hazel that he felt sure that there was some natural explanation [... ]'' (p256t).
Adams läßt Fiver in Kapitel 28 von einem anderen Land sprechen, in das die Kaninchen gehen wenn sie schlafen, zu anderen Zeiten (in Visionen) und wenn sie sterben, einem wilden, sehr unsicheren Ort (p255m).
Elliott Gose spricht in [6] von der ,,archetypal world'', der Welt der Archetypen, der Urbilder. Ich halte sie für eine andere Dimension, einen Ort neben oder jenseits von Raum und Zeit, der beide durchdringt, und nicht nur für eine Erscheinung diverser Urbilder in unser aller Psyche. Sicher ist es jedoch angesichts der Biographie Adams' nicht falsch, bei Jungs Lehren einen Ansatz zur Interpretation des Werkes zu suchen.
Schwierig finde ich die Textstelle im letzten Kapitel, wo von einem hohen Preis gesprochen wird (p469), den Fiver für den Sieg in der Nacht der Belagerung bezahlt hat. Er befand sich während des Kampfes in Trance, nach außen hin ,,tharn'', und wurde von den Angreifern für tot gehalten. Seit dem Kampf sucht er die Einsamkeit und verliert sich in Gedanken: ,,... Fiver was now more than ever governed, whether he would or no, by the pulse of that mysterious world of which he had once spoken to Hazel ...'' (p469tm). Ein möglicher Erklärungsansatz wäre, daß Fiver durch die lange Trance dauerhaft in einen prekären geistigen Zustand geraten ist und die transzendente Welt seine Sicht von der visuell wahrnehmbaren Welt überlagert.
In die Kategorien ,,Gut & Böse'' läßt sich die Botschaft und Wertung Adams' in Watership Down nicht einteilen. Aber seine Präferenzen sind erkennbar: Die an die Natur Angepassten, die auf ihre Beziehung zum Transzendenten achten, sind langfristig stärker als die, die mit Organisation und Gewalt ohne Rücksicht auf eine hinter dem Vordergründigen stehende transzendente Realität (die sie vielleicht nicht einmal mehr erkennen), überleben wollen.
Es stellt sich heraus, daß Watership Down sich in den folgenden Punkten signifikant von den anderen untersuchten Tiergeschichten unterscheidet:
The Plague Dogs unterscheidet sich ebenfalls hinreichend von den anderen Tiergeschichten. Der Roman teilt mit Watership Down unter anderem das Element der Mythologie der Tiere und die naturalistische Präsentation des Verhaltens der Tiere. Die Tiere werden in keiner Weise verniedlicht, das sprachliche Niveau ist anspruchsvoll. Ich halte das Buch jedoch nicht für ein Kinderbuch.
Übrigens existiert in The Plague Dogs eine explizite intertextuelle Beziehung zu Watership Down - der Autor läßt Ronald Lockley auf dem Boot dozieren: ,,`You know, ignorant sentimentality about animals and birds can be as bad as deliberate destruction,' [... ] `Well-intentioned amateurs like that chap Richard Adams - fond of the country - reasonably good observer - knows next to nothing about rabbits - hopelessly sentimental - everyone starts thinking rabbits are marvellous when what they really need is keeping them down if they're not to become an absolute pest to the farmer -''' (p440m).
In Shardik spielt dagegen der Kult der Menschen um den Bären eine größere Rolle als der Bär selbst. Ich ordne diese Geschichte nicht als Tiergeschichte im eigentlichen Sinne ein.
1Die Autorin hat mir den Artikel in letzter Minute zugefaxt. Vielen Dank!
2Obwohl Milne dies (wenigstens indirekt) auch durch Rabbit im Kapitel 5 im Gespräch mit Owl in Zweifel ziehen läßt und somit indirekt auf die Stofftiernatur der anderen Tiere hinweist: ,,`Owl' said Rabbit shortly, `you and I have brains. The others have fluff. If there is any thinking to be done in this Forest - and when I say thinking I mean thinking - you and I must do it.''' (p75m).
3Bei C.S.Lewis sind die sprechenden Tiere zusammen mit anderen Kreaturen in einer ,,Parallelwelt'' - Narnia - angesiedelt und unterscheiden sich in der Größe von nicht-sprechenden Tieren, die es in Narnia auch gibt.
4Eine Ausnahme sind die Einleitungen der Pooh-Geschichten von Milne
5first-person point of view
6lapine: Kraftfahrzeug, selbstfahrende Arbeitsmaschine
7dies ist durch die Illustrationen offensichtlich
8wie oben durch die Illustrationen offensichtlich, kann aber auch aus dem Text belegt werden
9Eine Autorin (Alison Lurie? Konnte ich leider nicht mehr finden.) merkte jedoch an, daß Kinder nicht übersehen würden, daß Peter der einzige ist, der ,,wirklich was erlebt'', daß Ungehorsam und Entdeckungen mehr Spaß machten als braves Verhalten und nicht allzu gefährlich seien, da der Held das Abenteuer weitgehend unversehrt übersteht.
10vielleicht teils aus Fürsorge, teils zur Strafe
11journey, Bemerkung: Reise wäre vielleicht auch metaphorisch zu verstehen, man könnte zum Beispiel argumentieren, daß ein Thema des Romans eine Reise in die spirituell-transzendente Welt wäre. In Mere Creatures [6] spricht der Autor hierbei von der Welt der Archetypen (archetypal world).
12Es könnte sich hier um eine ,,picaresque novel'' handeln, obwohl der Protagonist nur ein Trickster, nicht aber ein ausgemachter Bösewicht ist.
13,,The Thousand'' verweist auf die Summe aller Feinde der Kaninchen, siehe Abschnitt 3.3.1 auf Seite pageref.
14Kapitel 10, (p61m)
15Kapitel 12-17
16Kapitel 34
17epigraph: [bes. antike] Inschrift, Aufschrift [zu grch. epigraphein ,,darauf schreiben''] (Wahrig)
18pretentious chapter epigraphs
19weitere Beispiele folgen
20epic similes sowie über mehrere Sätze Metaphern
21Beispiel: die Benutzung des ungebräuchlichen Wortes ,,Cathay'' auch für ,,China'', die Rolle des Kaufmanns aus Venedig bei der Entdeckung des fernen Ostens etc. Ich bezweifle jedoch nicht, daß ein Leser, auch ohne solche Kenntnisse, Freude an diesem Buch haben mag.
22Weitere Fußnoten finden sich in meiner Ausgabe auf den Seiten: 35, 46, 52, 53, 86, 90, 137, 145, 240, 243, 280, 327, 328
23Ethologie
24narratorial intrusion
25z.B. Ronald M. Lockley, ,,The Private Life of the Rabbit'', 1965
26suspension of disbelief
27Wahrscheinlich sogar die seiner Heimat Berkshire
28Auch ,,Black Beauty'' ist recht überzeugend aus der Perspektive des Pferdes erzählt, jedoch in der ersten Person
29Übrigens hat Adams auch diesem Kapitel ein sehr passendes Motto vorangestellt, einen Vers aus dem 27. Kapitel der Apostelgeschichte: ,,The centurion ... commanded that they which could swim should cast themselves first into the sea and get to land. And the rest, some on boards and some on broken pieces of the ship. And so it came to pass, that they escaped all safe to land.''
30In Peter Rabbit gebraucht die Kaninchenmutter auch Euphemismen um auf den Tod des Vaters hinzuweisen: ,,your father had an accident there; he was put in a pie by Mrs. Mc Gregor''
31auch in Kapitel 23 (p195m)
32Chief Rabbit
33Auch die Kaninchen von Efrafra integrieren fremde Kaninchen in ihre Gesellschaft, allerdings zwangsweise, zum einen, weil General Woundworts Macht sich mit der Zahl der Untertanen erhöht, zum anderen, weil umherwandernde Kaninchen das Interesse der Menschen auf sich ziehen könnten.
34Sewell belegt jedoch manchmal den Charakter der Pferde mit Attributen wie ,,good bold horse'' und ,,there was no vice in him'' (p15b) um zu zeigen, daß das betreffende Pferd an seiner schlechten Behandlung unschuldig ist.
35hier wahrscheinlich lediglich mediale Fähigkeiten
36Dies ,,Gebet'', obwohl ein wenig selbstgerecht könnte durchaus auch das Gebet eines Christen zu Gott sein.
37Hierdurch wird angedeutet, daß die Kaninchen glauben, Frith hätte auch die Gestalt eines Tieres.
38Zwischen Fixsternen und Planeten zu unterscheiden, ist sicher nicht die ideale Methode, das Weltbild der Kaninchen hier dennoch als archaisch zu disqualifizieren.
39Obwohl es nirgendwo erwähnt wird, scheint Prince Rainbow in der Mythologie der Kaninchen eine Allegorie für den Menschen zu sein.
40Könnte er andere Kaninchensiedlungen in Relation zu der Heimatsiedlung eines jeden Kaninchens personifizieren?
41Die ,,stories'' um El-ahrairah könnte man auch als Legenden bezeichnen, da eine nicht-göttliche Person (El-ahrairah) im Mittelpunkt steht.
42wie ,,The Story of the King's Lettuce'' bei der Zusammenkunft mit Cowslips Kaninchen erzählt wurde
43Die Terminologie habe ich zum Teil entnommen aus Funk & Wagnalls New Encyclopedia
44obwohl dies auch lediglich eine Hyperbel sein kann
45extrasensory perception: clairvoyance, clairaudience