Im Sommer habe ich mit Melanie --- einer guten Freundin (meiner jetzigen Ehefrau, Anmerkung 1996) --- in einem extra dafür von uns für DM-150- gekauften 1978-er Audi 100 Hilfsgüter in die Ukraine gebracht und eine Rundreise angeschlossen. Wir haben uns für die Fahrt fünf Wochen Zeit gelassen und in diesen 9000 km zurückgelegt, wir waren z.B. in Kovel (Grenze zu Polen), Mukachevo (Karparten), Odessa, Nikolajew (Werften für Flugzeugträger), Jalta und Fedosia (auf der Krim), Mariupol (am Asowschen Meer), Donezk (Kohlerevier), Charkov, Kiev, Rovno und L'vov (Lemberg). Diese Ortsnamen sind vom Russischen transkribiert, Amtssprache ist aber neuerdings Ukrainisch, aber die ukrainischen Namen findet man noch auf keiner Karte. In den Karparten fand ein von der Gemeinde in Kovel organisiertes Kinderlager statt, wo wir unsere Lebensmittel ablieferten und uns dann noch ein wenig in die Kultur eingelebt haben. Um dorthin zu kommen, mußten wir etwa 500 km zurücklegen.
Wir hatten ja für die gesamte Ukraine keine Adressen, sondern wußten lediglich, daß es in Kovel eine baptistische Gemeinde gibt, die einen in Deutsch geschriebenen Zettel haben soll, der den Weg zum Kinderlager weist.
Dort, im Lager, sollte es jemanden geben, der etwas Englisch spricht. Auf diesem Zettel, den die LKW-Fahrer geschrieben hatten, stand unter der Wegbeschreibung eine Notiz, die sie nach iher Rückkehr geschrieben haben:
"... es lohnt sich nicht mehr (zu fahren):
1. Ihr findet die Stelle nicht, Ort steht nicht auf der Landkarte, wir haben 5 Stunden gesucht.
2. Die Strecke ist so schrecklich, daß wir manchmal nur 10 km/h gefahren sind.
3. Probleme mit dem Sprit (Diesel), lange Schlange. ... Wenn ihr noch Mut habt, dann los, versuchen in die Karparten."
Daraufhin sind wir sofort losgefahren --- sowas interessiert mich. Diesel für die LKW gab es wenigstens, wenn auch mit Schlange. Wir aber hatten erhebliche Schwierigkeiten, Benzin zu bekommen.
Wir haben dann bei Mukachevo auf einer Tankstelle im eh schon überladenen Auto auf dem Gepäck geschlafen, weil wir schon Stunden in die Nacht hineinfuhren (Mähdrescher, Lkw, Pkw, Polizei kamen uns entgegen oder fuhren vor uns --- aber ohne Licht!) Etwa 600 Kinder waren in zwei Gruppen in diesem Lager und sollten wenigstens für diese kurze Zeit gut verpflegt werden können. Wir haben nur Ergänzungsverpflegung wie Kakao, Pudding, Backzutaten u.ä. mitgenommen, da wir nur etwa für 180kg Platz hatten. Auf der Fahrt haben wir viele Pastorenfamilien und deren Gemeinden besucht.
Meist waren diese Leute Baptisten und bauten fleißig neue Kirchen. Wo wir keine Adressen hatten --- etwa die Hälfte der Reise --- haben wir am Meer oder auf riesigen abgeernteten Feldern neben dem Auto übernachtet. Diese Plätze haben wir sehr sorgfältig ausgesucht, da wir keinen ungebetenen Besuch bekommen wollten, wovor wir oft gewarnt wurden. Wir haben aber auch festgestellt, daß junge Einheimische dort genauso unterwegs sind.
Man kann dieses Land ruhig als den "Wilden Osten" bezeichnen. Fast alles ist schwieriger als bei uns, das fängt mit "Kleinigkeiten" wie dem Telefonieren und Einkaufen an und hört bei großen Dingen wie dem Beschaffen von Autoteilen und Baumaterial für Häuser auf. Generell haben wir aber keine Probleme gehabt, da wir immer genug Geld hatten (kein Kunststück bei einem Wechselkurs von 1:200) und ich mich auch immer besser in die russische Sprache einfühlte. In Kiew haben wir eine Französin getroffen, die nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchte --- wir haben Sie gefragt, ob sie auch mit uns auf einem Feld übernachten würde. So fuhren wir aus der Stadt heraus und suchten. Es ist gar nicht so einfach, in der Nähe einer Millionenstadt einen ruhigen Platz zu finden. Oft haben wir nicht in der Nähe von Städten übernachtet, aber diesmal wollten wir ja dorthin zurück.
Als wir am einem Waldrand entlangfuhren, wurde der Boden auf einmal ganz weich und Sekunden später saßen wir fest --- Übernachtungsplatz gefunden.
Wie fast immer haben wir ein großes Feuer angezündet, auf dem wir unser Essen kochen und an dem wir schlafen konnten. Ich habe das Auto noch in der Nacht wieder flottgemacht. Am Morgen fanden wir, daß das Feld mit Bewässerungsanschlüssen ausgerüstet ist, und so hatten wir sogar eine tolle Dusche. An dem Tag sind wir auch, mit einem in Charkov gekauftem Strahlenmeßgerät ausgerüstet, von Kiew die 80 km nach Norden in Richtung Tschernobyl gefahren. Dreißig Kilometer vor dem Kraftwerk beginnt die Sperrzone. Außerhalb dieser Zone haben wir keine Gefährdung für uns feststellen können --- sogar die Werte in Kiew waren höher. Aber wer weiß, wie es den Menschen in der Zone geht? Es ist aber schon eine gespenstische Gegend um die Pripjatsümpfe. Neue Straßen --- verlassene Siedlungen mit zerstörten Häusern. Was war da los? Können wir uns das vorstellen? Ich glaube nicht.
Die kleinen, schlechten Straßen abseits der Hauptrouten haben mir am meisten Spaß gebracht, da ich auf den Zustand des Fahrzeugs nach der Fahrt keinerlei Rücksicht nehmen mußte. Häufig fuhren wir viele Kilometer mit hoher Geschwindigkeit auf grobem Schotter, der in der Mitte oft am Wagenboden kratzte. Da wurde dann eine Straße erneuert. Bei uns sind Baustellen nicht so lang. Es gab auch Probleme, die mir aber keine wesentlichen Sorgen machten. So haben wir uns mal auf einer "Brücke" festgefahren, da wir übersahen, daß diese ein Loch hatte in das ohne weiteres eines unserer Hinterräder paßte. Unsere Wagenheber und einige Bretter machten den Wagen wieder flott. Für die letzten 4000 km hatten wir kaum Bremswirkung (nur das linke Vorderrad bremste überhaupt), woran wir uns erst gewöhnen mußten. Selbst die kleinen Gummimanschetten zur Abdichtung des Kolbens im Hauptbremszylinder waren nirgendwo zu bekommen. Einmal wären wir deswegen fast mit einer Lokomotive kollidiert. Ein Schleuder-Wendemanöver verhinderte den Schaden. Aber wir haben uns schnell an die neuen Prioritäten gewöhnt: Erstmal muß das Auto überhaupt fahren, und dann kommt die Sicherheit. Dennoch bestaunte die Polizei immer wieder das "neue" und "sichere" Automobil. Einmal wurden wir angehalten und freundlich darauf aufmerksam gemacht, daß wir Licht anhätten. Ja und ...? Es war schließlich fast vollständig dunkel! Die Polizisten bestanden aber auf "Ausmachen oder Standlicht". Also Standlicht bis zur nächsten Kurve.
Die Ukrainer in Kovel meinten, wir wären extrem gut ausgerüstet, weil ich die nötigen Spezialwerkzeuge dabei hatte und ihnen so den Motor eines Audi 100 reparieren konnte. Ich weiß aber, was ich vergessen habe --- ein Auto mit Dieselmotor. Benzin gab es (begrenzte Mengen) an etwa einer von zehn Tankstellen, nachdem wir das Schild "Bensina njet" geflissentlich übersahen und trotzdem fragten. Meist hatten wir noch über 100 Liter Benzin in Reserve, was uns bei den Preisverhandlungen genug Spielraum gab. Dieselöl gab es aber überall für drei bis fünf Pfennige pro Liter ohne Mengenbegrenzung.
Nicht alles war Urlaub --- manches war ziemlich anstrengend oder lästig.
Wer geht an der Tankstelle raus, um zu verhandeln? Wer zieht Wasser aus dem Brunnen hoch? Wer kriecht unters Auto und macht den Auspuff wieder fest? Wer schiebt das Auto an? Wer spricht zum fünften Mal mit den sturen polnischen Zollbeamten? Für mich (Matthias) ist der Fall klar --- so schnell wie möglich wieder in die Ukraine!
© Copyright 1992, 1996 Matthias Kasimir, Siegen
Bericht einer Motorradfahrerin, die gern in die Sperrzone fährt. Sie benutzt übrigens ein Dosimeter ähnlicher Bauart wie das, mit dem wir auch schon dort unterwegs waren (Pripjat) - jedenfalls sieht es von außen exakt gleich aus.
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